Zwei halten zusammen 🤝

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Dies ist ein Detail der Geschichte "Erntehelfer in Griechenland". Sie ist natürlich wirklich passiert, wie alle meine Anekdoten und Erzählungen. Nachdem wir in Argos die letzte Orange geerntet hatten, begann es fürchterlich zu regnen. Wir besprachen uns und einer meinte, dass die Kartoffelernte im Norden eigentlich bald losgehen würde. Wir waren ungefähr ein dutzend junge Leute aus verschiedenen Ländern: Deutschland, Spanien, Griechenland, Finnland, Irland, USA, Afrika, Schweden und England.

Kartoffeln

Da es keine Alternative gab, beschlossen wir gemeinsam den Zug nach Thessaloniki im Norden Griechenlands zu nehmen. Wir fuhren morgens früh im Regen los und kamen nach 600 Kilometern und vielen gemütlichen Stunden in Thessaloniki, bzw. einem Vorort an. Es schüttete wie aus Kübeln. Im kleinen Bahnhof war ein kleiner Warteraum, in dem in der Mitte ein alter Kanonenofen stand, der schön bollerte und den Wartenden eine behagliche Wärme bot. Jemand hatte einen Wasserkessel oben drauf gestellt und bereitete später mit dem heißen Wasser einen Kaffee zu.

argos thessaloniki entfernung

Die Menschen unterhielten sich leise und schauten kurz auf, als ein dutzend triefender Fremder eintrat, die auf eine Kartoffelernte hofften, die sehr wahrscheinlich ins Wasser fiel. Wir hockten uns schweigend auf die Bänke und starrten uninspiriert auf den Boden, denn keiner wusste, wie es jetzt weiter gehen sollte, wann wir wieder Geld verdienen würden, ob wir uns über Wasser halten könnten. Große Ersparnisse hatte keiner von uns. Wir lebten praktisch von der Hand im Mund, wie man so sagt.

Plattfuß

Die Tür flog auf und ein enttäuschter Polizist schob wütend sein Moped in den Warteraum. Er triefte vor Nässe und schimpfte in einer Tour, deutete dann auf den platten Reifen und gestikulierte aufgeregt mit den Händen. Ich verstand kein Wort, aber es war schon klar, dass er eine Reifenpanne hatte und keine Lust hatte, den Reifen zu reparieren. Wahrscheinlich hatte er auch kein Flickzeug dabei und was man sonst so braucht.

warteraum

Was der gute Mann aber nicht wusste: ich hatte Flickzeug dabei und auch das nötige Werkzeug in Form meines Schweizer Taschenmessers. Warum ich Flickzeug dabei hatte? Ich hatte gelernt, dass der britische Pfadfinderspruch "Always be prepared" (Sei auf alles vorbereitet) nicht nur ein Spruch war, sondern das Motto eines jeden Reisenden sein sollte. Wenn nun meine Regenjacke ein Loch bekommen sollte, so war mein Gedanke gewesen, dann könnte ich sie zur Not reparieren. Zwar war das nie vorgekommen, aber jetzt hatte ich die Chance, dem Dorfpolizisten einen Gefallen zu tun. Ich sprach ihn auch sogleich an und deutete auf den Reifen.

Irgendwann verstand er, was ich wollte. Kann auch sein, dass Costa übersetzt hatte. Das weiß ich nicht mehr. Jedenfalls machte ich mich an dem Moped zu schaffen, friemelte den kaputten Schlauch heraus, horchte wo die Luft entwich und rauhte den Schlauch auf, schmierte die Gummilösung drauf, wartete 10 Minuten und bappte den Flicken drauf. Danach pumpten wir den geheilten Reifen auf und das Gesicht des Polizisten verwandelte sich in eine strahlende Sonne. Er war richtig glücklich und vor allem dankbar.

Natürlich kannte er den Bürgermeister des Ortes, erzählte diesem von den hilfsbereiten Fremden und wir wurden alle zu einem großen Fest eingeladen. Ich aß zum ersten Mal Gehirnsuppe und weitere griechische Spezialitäten. Wir feierten so laut wie wir konnte, sangen, grölten, der Engländer balancierte einen Stuhl auf seinem Kinn und alle klatschten dazu rhythmsich in die Hände. Wir tranken griechischen Wein, Frauen gab es leider keine, aber es war trotzdem ein Mordsgaudi. Als wir abgefüllt waren, rollten wir uns in unsere Schlafsäcke. Der Bürgermeister hatte Tipizelte für uns aufstellen lassen. Wir schliefen alle selig ein und waren zufrieden. Zumindest für eine Nacht.

Rory und ich

Am nächsten Tag regnete es immer noch. Wir fragten den Bürgermeister, ob es für uns Arbeit gäbe, aber er verneinte. Auch für die Kartoffelernte sah es schlecht aus. Es war einfach zu nass. Und kalt war es auch noch. Das waren keine guten Nachrichten und die Schicksalsgemeinschaft zerfiel. Manche wollten es woanders versuchen, andere hatten vor, Freunde zu besuchen und bei ihnen auf bessere Zeiten zu warten.

So blieben am Ende nur Rory und ich über. Rory war der Waldorflehrer, der sich in eine junge Griechin verliebt hatte, worüber seine Ehefrau in London verärgert war. Er trank viel und fühlte sich als sensibler Fisch stets hoffnungslos und unendlich traurig. Aber er war intelligent, hatte große Sozialkompetenz und konnte etwas Griechisch. Zu zweit versuchten wir es noch einmal hier und dort, aber nichts. Dann schenkte jemand Rory einfach mal etwas Geld, die Griechen sind ein sehr menschliches Volk, und wir gingen in einer billigen Absteige etwas essen. Somit war unser letztes Geld auch alle.

Wir fanden einen Hühnerstall, in dem wir übernachteten. Er war natürlich voller Hühnerkot, aber zumindest trocken. Freudlos zogen wir am nächsten Morgen durch die kleine Stadt auf der Suche nach Arbeit, Geld oder etwas zu essen, als uns ein LKW voll mit Romas überholte. Sie hatten wohl Arbeit gefunden, die Glücklichen. Wir sprachen kurz darüber. Nicht neidisch oder missgünstig aber in einer tristen Stimmung. "Da, schau" rief ich auf einmal. "Was denn?" fragte Rory. Ich deutete auf eine große Kartoffel, die in einer Pfütze im Rinnstein lag. Sie musste wohl von einem LKW heruntergefallen sein.

hühnerstall

"Oh toll", meint er und hob sie auf. Wir betrachteten sie wie einen Schatz und freuten uns, sie zu kochen und dann gemeinsam zu verzehren. Zurück im Hühnerstall stellte ich meinen kleinen Spirituskocher auf, entzündete die Flamme und wir starrten gemeinsam auf das Wasser im Topf und auf die Kartoffel. Mit einer Nagelfeile prüfte ich die Kartoffel und als sie gar war, schälte ich sie auch mit der Nagelfeile.

Wir teilten die Kartoffel gerecht auf und und kauten sie sehr sorgfältig. Die Wärme und die Stärke taten uns gut. Gestärkt gingen wir wieder hinaus, denn Rory hatte eine Idee. Er wollte zu den Roma gehen. Er wusste wohl, wo sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Er wollte mit ihnen verhandeln, bzw. fragen, ob wir mit ihnen zusammen arbeiten könnten. Mir war alles recht und so trottete ich ihm hinterher, bis wir an einer Art Wagenburg aus eilig zusammen gebastelten Plastikzelten angekommen waren.

Freundliche Roma

Rory stellte uns höflich vor und wir durften in die improvisierte aber behagliche Unterkunft hinein, in der ein riesiges Bett stand und sogar ein Ofen. Es waren ungefähr 6 Kinder und zwei Erwachsene und die Großeltern anwesend. Große, dunkle Kinderaugen lächelten uns freundlich an. Man bot uns an, uns auf das Bett zu setzen. Wir müssen wohl sehr ausgemergelt ausgesehen haben, denn sie stellten uns sofort etwas zu essen hin. Ich dachte erst es seien "Verlorene Eier", wie sie meine Oma öfters machte. Aber es waren "Hammel Hoden", wie man uns erklärte. Uns war alles recht und wir bissen in die gekochten Klöten hinein, die kaum Widerstand leisteten und sehr salzig schmeckten. Als Beilage hab es kleine Fische, wo noch der Kopf dran war. Den aß ich jedoch nicht mit.

freundliche kinderaugen

Zwar konnten sie uns keine Hoffnung auf Arbeit machen, aber wir hatten mal etwas gegessen und fühlten uns gestärkt und hatten ein wenig Hoffnung, dass es irgendwie weiter gehen konnte.

holztransporter

Zurück nach Argos

Thessaloniki hatte sich als Rohrkrepierer erwiesen und so trampten wir mit einem Holztransporter auf den Baumstämmen sitzend zurück nach Argos, weil jemand was von Artischocken erzählt hatte. Es zog wie Hechtsuppe aber wir waren trotzdem erleichtert, aus dem Drecksloch weg zu kommen. Als wir in Argos ankamen, trafen wir einige aus der alten Gruppe wieder. Ich sprach mit ihnen über Rory und dass es nicht gut für ihn aussah, wenn wir nicht etwas unternehmen würden, damit er wieder nach Hause kommt zu seiner Frau und seinen Kindern. Irgend jemand kannte wohl die junge Griechin, in die Rory sich verliebt hatte, die aber nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Jemand stellte den Kontakt her und bat sie herzukommen und Rory wieder aufzubauen, da er sonst vor die Hunde gehen würde.

Und dann kam die junge Frau wirklich. Sie war tatsächlich überdurchschnittlich attraktiv und sprach mit Rory. Sie bot ihm Geld an für die Fahrt nach London und dann ging alles ganz schnell. Rory war noch am zweifeln aber wir beschwörten ihn, dass seine Kinder ihn bräuchten und dass sie ihn gewiss schon vermissen würden. Am nächsten Morgen sahen wir Rory noch kurz. Nach einem kurzen Abschied bestieg er den Bus zusammen mit der jungen Griechin, die ihn wohl ein Stück begleiten würde und dann war er weg.

Wir waren alle erleichtert und fanden hier und da kleinere Arbeiten. Ich half nochmal bei den Artischocken und beschloss dann wieder nach Hause zu fahren. In der vorigen Geschichte erzähle ich noch von dem Schweden, den ich in Piräus zufällig getroffen hatte. Von da aus ging es für uns beide per LKW direkt nach Hause.

Ja, das waren drei Monate, die es in sich hatten und die mich für den Rest meines Lebens viel über Freundschaft, Loyalität und Widerstandsfähigkeit gelehrt haben. Wieder zu Hause angekommen arbeitete ich wieder im elterlichen Betrieb, nahm dann aber wegen unerträglicher Spannungen wieder Reißaus und arbeitete für Mövenpick als Kellner, was eine meiner glücklichsten Erfahrungen war. Hier erfuhr ich viel über Kameradschaft, Teamgeist und Lebensfreude.

Vorgelesen von Richy Schley

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