Die schöne Bettlerin 👩🦰
Hinweis: Kauflinks verweisen auf Amazon-Angebote, die mir eine kleine Provision bezahlen, um meinen Kanal/Website zu unterstützen.Es war schon ein paar Jahre her, dass ich auf Wanderschaft war und ich wohnte in Darmstadt. Dort spielte ich hin und wieder Didgeridoo in der Fußgängerzone, um mir etwas dazu zu verdienen, aber auch um Leute kennenzulernen. Das ist übrigens mein Geheimtipp: wer unbedingt neue Bekanntschaften machen möchte, braucht sich nur mit irgendeiner Tätigkeit in die Stadt zu setzen oder zu stellen. Es muss nicht Musik sein, man kann auch etwas basteln oder an Halbfertigprodukten ein bisschen mit Sandpapier rumschmiergeln. Ich denke da an den einen Ex-Junkie, der handgesägte Holztiere anbot. Sehr netter Typ, Matthias glaube ich hieß der. Ist leider schon gestorben.
Unsere Stelle
Jedenfalls komme ich darauf, weil Matthias, ich und die Bettlerin hatten den gleichen Standort, direkt am Geldautomaten. Nicht aus Kalkül, sondern einfach, weil man da gut sitzen kann. Achja, und früher war da auch mal ein Tchibo, wo wir uns immer einen Kaffee holten. Also ich spielte dort Didgeridoo, Matthias verkaufte seine Holztiere und später traf ich dort diese hübsche Frau.
Es war eine gute Stelle, weil hier viel Leute vorbei kamen. Das brachte uns guten Umsatz, jedenfalls so lange, wie die von gegenüber aus dem Bioladen nicht ausflippte, weil die mochte mein Didgeridoo nicht. Das machte sie irgendwie nervös. Sie kam dann immer zeimlich unwirsch aus dem Laden geschossen, stemmte die Fäuste in die Hüfte und keifte mich an, ich solle woanders spielen. Für mich war dann Feierabend und ich unterhielt mich schön mit Matthias, rauchte eine (damals habe ich noch geraucht, ab 2012 nicht mehr) und wir hatten eine gute Zeit.
Egeschegere
So vergingen die Jahre, ich hatte mich inzwischen selbständig gemacht und spielte schon lange kein Didgeridoo mehr auf der Straße. Matthias war von uns gegangen und ich schlenderte in Gedanken durch die Stadt, als ich an "unserer alten Stelle" vorbei kam. Der Tchibo war schon lange zu, nur der Bargeldautomat war geblieben. Hier saßen öfters Obdachlose und bettelten sich ihr Geld zusammen.
Heute saß auch jemand dort, aber es war eine junge Frau und sehr hübsch. Ich stand eine Weile rum, um sie aus der Ferne zu betrachten, denn sie war ganz anders als die anderen Bettler. Sie hatte ein Schild wo irgend etwas drauf stand, ich konnte es nicht lesen. Ich war zu weit weg. Seit wann sind Bettlerinnen so gepflegt und so hübsch? Seltsam. Ich fasste mir ein Herz und ging zu ihr hinüber, denn ich wollte herausfinden, was mit ihr los war.
Ich legte 2 Euro in ihre Schale, sie schaute dankend hoch... oh, sie war wirlich eine Schönheit mit ihren roten Haaren und den feinen Gesichtszügen. Wie gesagt, sehr gepflegt. Ich sprach sie an "Entschuldigen sie, aber was macht denn eine so hübsche junge Frau hier auf der Straße?" Ich dachte, vielleicht ist sie in Not und braucht meine Hilfe. Sie konnte etwas Deutsch und meinte, sie sei aus Ungarn. "Egeschegere!" rief ich begeistert. Das einzige ungarische Wort, das ich mal aus einem lustigen ungarischen Film gelernt hatte. Es heißt so viel wie "Alles Gute", kann aber auch "Gute Gesundheit" oder einfach nur "Prost" heißen.
Sie lächelte knapp und meinte, sie bräuchte halt das Geld, um zu überleben. Irgendwie passte das aber nicht zusammen, denn Leute, die in Not sind, sind ungepflegt, sehen müde und hoffnungslos aus. Da sah ich auf einmal, dass sie ein Buch vor sich liegen hatte. Gut versteckt zwischen Tüchern. Achso! Sie schaute gar nicht depremiert auf den Boden, sondern las aus Langweile ein Buch! Ich sprach sie darauf an und dann erzählte sie mir die ganze Geschichte...
Das Geständnis
Sie war eine Kunststudentin aus Ungarn, die in Darmstadt studierte, hatte eine Wohnung und einen Job in einem Restaurant. Alles war prima gewesen. Das ging ein Semester gut, doch dann kam heraus, dass sie ohne Arbeitsgenehmigung arbeitete, denn sie erhielt keine. So verlor sie ihre Arbeit und war gezwungen zu betteln, da sie sonst einfach verhungert wäre, denn sie durfte ja nicht arbeiten. Und als sie so am Betteln war, merkte sie, dass sie damit gutes Geld verdiente. Bis zu 200 Euro pro Tag, sagte sie. Ich erzählte ihr von meiner Straßenmusik und dass ich froh war, wenn ich mal 50 Euro zusammen bekommen hatte. Und dafür hatte ich ordentlich was tun müssen!
Jedenfalls war sie selbst auch erstaunt darüber, dass man mit Nichtstun so viel Geld verdienen konnte und betrieb das künftig regelmäßig, um ihr Studium zu finanzieren. Sie ging wieder zurück nach Ungarn, studierte dort weiter und kam in den Semesterferien nach Deutschland, um Geld zu verdienen... durch Betteln. Und ich finde, man kann es ihr wirklich nicht verdenken. Sie wollte arbeiten, durfte nicht, war gezwungen zu betteln, verdiente damit ein Mehrfaches und betrieb das künftig als Unterstützung für ihr Studium.
Irgendwie ein glücklicher Zufall für sie, andererseits ein Spiegel für die Gesellschaft und ihre Regeln. Verkehrte Welt. Inzwischen ist sie vermutlich lange fertig mit ihrem Kunststudium, verdient normal ihr Geld, hat geheiratet, Kinder in die Welt gesetzt oder sie sitzt in ihrem Atelier und malt wunderschöne Bilder, in denen sich ihre Vergangenheit spiegelt. Viel Glück! Egeschegere!